Sonntag, 19. Juli 2009

Mercedes sucht deutschen Fahrer / Interview mit Norbert Haug

Mercedes plant deutschen Fahrer

Mercedes plant deutschen Fahrer
Nico Rosberg, Sebastian Vettel oder ein Rohdiamant aus einer Nachwuchsserie - Mercedes plant die "Formel Deutsch". "Wir müssen uns stets so aufstellen, dass wir Rennen und Meisterschaften gewinnen können, und wenn dies mit deutschem Fahrer gelingen kann - um so besser", sagte Mercedes-Sportchef Norbert Haug.

Die Entscheidung in der Fahrerfrage soll innerhalb der nächsten beiden Monate in Absprache mit Partner McLaren fallen. Fest steht: So deutlich haben die Stuttgarter noch nie das Interesse an einem deutschen Fahrer für die Formel-1-Saison 2010 bekundet.

Angeblich soll der Finne Heikki Kovalainen als Teamkollege von Weltmeister Lewis Hamilton (Großbritannien) abgelöst werden. Immer wieder hatte sich Mercedes bemüht, einen deutschen Formel-1-Fahrer in den Silberpfeil zu setzen. Haug: "Versucht haben wir das bereits in den vergangenen zehn Jahren mit Michael Schumacher, mit Nico Rosberg und mit Sebastian Vettel."

Alle deutschen Fahrer hatten laut Haug zum jeweiligen Zeitpunkt existierende Verträge, die respektiert wurden. Er verstehe, dass sich speziell die deutschen Fans einen deutschen Fahrer in einem Mercedes wünschen, sagt Haug.

Ganz oben auf der Mercedes-Wunschliste steht offenbar der Name Nico Rosberg, der nach eigenem Bekunden so schnell wie möglich in einem Siegerauto sitzen möchte. Haug macht kein Geheimnis aus dem Werben um Rosberg und lobt den 24-Jährigen in den höchsten Tönen: "Nico verdient den Formel-1-Ritterschlag."

Rosberg sei in dieser Saison blitzsaubere Rennen gefahren, so wie zuletzt auf dem Nürburgring, urteilt der Mercedes-Sportchef: "Sicher mit einem guten, aber bestimmt nicht mit dem allerbesten Auto im Feld." Rosbergs Arbeitgeber Williams plagen finanzielle Sorgen, das einstige Weltmeister-Team hat seit fünf Jahren kein Rennen mehr gewonnen.

Schwieriger sieht es im Fall Vettel aus, der bei Red Bull um den WM-Titel kämpft und sein Team wohl nur gegen eine Ablösesumme von mehr als 20 Millionen Euro verlassen dürfte.

Machtkampf hat F1 nicht geschadet

Mercedes plant deutschen Fahrer Machtkampf hat F1 nicht geschadet
Unterdessen hält sich der befürchtete Imageverlust für die Königsklasse nach dem Machtkampf zwischen FIA-Präsident Max Mosley und den Formel-1-Teams in Deutschland in Grenzen. Lediglich 18,9 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Interesse an der Formel 1 wegen des Streits gesunken sei. Als unverändert bezeichneten 73,2 Prozent ihre Aufmerksamkeit.

Haug erwartet unabhängig von der Person des neuen FIA-Präsidenten eine bessere Arbeitsatmosphäre als unter dessen Vorgänger Max Mosley. "Der kooperative Gedanke muss her. Die Konfrontation darf nur noch gesucht werden, wenn es unbedingt nötig ist. Und ich denke, dass wir da bessere Bedingungen haben werden", sagte der Mercedes-Sportchef bei einer Telefonkonferenz am Dienstag.

Zu einem der beiden bisherigen Kandidaten für das Präsidentenamt beim Automobil-Weltverband, dem ehemaligen Rallye-Weltmeister Ari Vatanen (Finnland) oder Michael Schumachers einstigem Ferrari-Teamchef Jean Todt (Frankreich), wollte sich Haug mit Blick auf die Wahl am 23. Oktober nicht äußern. "Ich möchte mich nicht zu Seite A oder Seite B bekennen", sagte Haug: "Wichtig ist nur, dass die Teamvereinigung FOTA Gewicht im Gesamtkonstrukt hat."

Haug will "als Außenseiter nach vorne"

Haug will als Außenseiter nach vorne
Sie haben unlängst gesagt, McLaren-Mercedes sei derzeit kein Sieganwärter. Gilt das für den Rest der Saison?
Norbert Haug:
"Das will ich nicht hoffen. Allerdings habe ich nie Wert auf Ansagen, sondern vielmehr auf Leistung und messbare Ergebnisse gelegt. Lewis Hamilton war am Nürburgring zumindest für ein paar Meter in Führung, bevor Mark Webber den Hinterreifen seines Autos mit dem Frontspoiler aufgeschlitzt hat. Sicher ohne Absicht, aber Lewis' Rennen war damit praktisch beendet, denn bei der Runde mit zerfleddertem Gummi bis zur Box hat er den Unterboden beschädigt, sein Auto war danach kaum noch fahrbar."

Niki Lauda hat Hamilton Arbeitsverweigerung vorgeworfen, weil er auf dem Nürburgring bereits aufgeben wollte. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Haug:
"Die war aus unserer Sicht fehl am Platz. Lewis war klug, den Vorschlag zu machen, Motor und Getriebe zu schonen, um dann bei Rennen, bei denen wir hoffentlich konkurrenzfähig sind, länger mit höchster Drehzahl fahren zu können. Wir sagten Lewis, dass ihn ein Safety Car oder Regen oder beides wieder ins Spiel bringen könnte, und er gab danach wie zuvor in jeder Runde alles."

Haben Sie diese Saison als Betriebsunfall abgehakt und arbeiten schon am Auto für 2010?
Haug:
"Wir wollen uns weiter steigern. Der Nürburgring war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Unser neues Auto entsteht parallel."

Die Hierarchie ist in diesem Jahr völlig auf den Kopf gestellt. Das ist für den Sport eigentlich nicht schlecht, oder?
Haug:
"Das ist prima. Und wenn jetzt noch der Silberpfeil als Außenseiter nach vorne kommt so wie es auf dem Nürburgring ohne Plattfuß schon der Fall gewesen wäre, dann haben wir noch tolle Rennen vor uns."

"Nico Rosberg verdient den F1-Ritterschlag"

Haug will als Außenseiter nach vorne Nico Rosberg verdient den F1-Ritterschlag
In den ersten Rennen war Jenson Button derart dominant, dass er schon als Weltmeister gefeiert wurde. Jetzt gewinnt plötzlich Red Bull. Verspielt Button den Titel etwa noch?
Haug:
"Begriffe wie verspielt mag ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht, sie treffen die Realität nicht im Entferntesten. Button musste für seinen fünften Platz am Nürburgring wahrscheinlich mehr kämpfen als für manchen Sieg zuvor. Wäre es uns allen etwa lieber, wenn Button bisher nicht sechs von neun, sondern neun von neun Rennen gewonnen hätte? Außer Ross Brawn und Jenson Button und den Teammitgliedern von Brawn kenne ich niemanden, dem das gefallen würde, noch nicht einmal uns als Motorenpartner - wir hätten dann nämlich eine stinklangweilige Formel 1."

Sebastian Vettels Teamkollege Mark Webber ist nach dem Sieg auf dem Nürburgring der Mann der Stunde. Sie kennen ihn ja noch bestens aus gemeinsamen Zeiten in der FIA-GT-WM. Kann er Vettel im Titelrennen noch gefährlich werden?
Haug:
"Klar kann Mark Webber das. Wir holten Mark vor zwölf Jahren in unser FIA-GT-Team, als Teamkollege von Bernd Schneider. Jetzt liegt Mark 1,5 Punkte hinter Sebastian Vettel und hat alle Chancen auf mehr. Ohne den Rennabbruch in Malaysia läge er heute bereits vor Sebastian Vettel. Mark ist nicht zu unterschätzen, und der letzte, der das täte, ist Sebastian Vettel. Und Webber weiß genauso, dass Vettel eine für ihn schwer zu knackende Nuss ist. Das wird jetzt teamintern sehr hart werden."

Seit Wochen wird Nico Rosberg mit McLaren-Mercedes in Verbindung gebracht. Was ist da dran?
Haug:
"Gerüchte haben wir noch nie kommentiert, aber Nico Rosberg verdient den Formel-1-Ritterschlag. Er fuhr in dieser Saison blitzsaubere Rennen, wie zuletzt am Nürburgring, als er von Platz 15 auf Platz vier vorfuhr - sicher mit einem guten, aber bestimmt nicht mit dem allerbesten Auto im Feld."

Wie wichtig wäre ein deutscher Fahrer überhaupt für Mercedes?
Haug:
"Ich will keineswegs ausschließen, dass wir mal einen deutschen Fahrer an Bord haben werden. Versucht haben wir das bereits in den vergangenen zehn Jahren mit Michael Schumacher, mit Nico Rosberg und mit Sebastian Vettel. Alle hatten zum jeweiligen Zeitpunkt existierende Verträge, die wir natürlich respektiert haben. Allemal verstehe ich, dass speziell unsere deutschen Fans sich einen deutschen Fahrer bei uns wünschen. Wir müssen uns stets so aufstellen, dass wir Rennen und Meisterschaften gewinnen können, und wenn dies mit deutschem Fahrer gelingen kann - um so besser."

Der umstrittene Max Mosley hat nach langem Hickhack eingelenkt und seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur als FIA-Präsident verkündet. Kehrt damit endgültig Ruhe ein?
Haug:
"Max Mosley hat große Verdienste um unseren Sport, daran besteht kein Zweifel. Die FOTA-Teams haben seit mehr als einem Jahr so konstruktiv zusammengearbeitet wie es die Rennställe zu keiner Zeit in der 60-jährigen Geschichte der Formel 1 getan haben. Es wird dabei eine enorm aufgewertete Formel 1 herauskommen, bei der weniger Geld für den großen Erfolg eingesetzt werden muss - und das System haben die Teams selbstständig miteinander entwickelt. Für Mercedes-Benz ist es extrem wichtig, dass noch mehr für die Zuschauer vor Ort und vor dem Fernseher getan wird, und die FOTA wird hier sehr starke Konzepte entwickeln und umsetzen."

Was wird die wichtigste Aufgabe für den neuen FIA-Präsidenten sein?
Haug:
"Konstruktiv und kooperativ mit den Teams und dem Inhaber der kommerziellen Formel-1-Rechte zum Wohle der Zuschauer zu arbeiten. Denn wir fahren ja nicht für uns, wir fahren für die Zuschauer, für jene vor Ort und für jene vor den Fernsehgeräten auf der ganzen Welt."

Honda ist ausgestiegen. Renault und Toyota werden wohl folgen. BMW steht ebenfalls auf der Kippe. Droht auch bei Mercedes eine Vollbremsung?
Haug:
"Alle im Concorde Agreement versammelten Teams werden bis mindestens 2012 in der Formel 1 bleiben. Mercedes wird nicht gerade dann aussteigen, wenn bald drei WM-Saisons soviel kosten werden wie gestern noch eine, die Formel 1 populärer ist denn je und nicht nur in Deutschland Rekord-TV-Quoten erreicht werden."

Was muss die Formel 1 anders machen, um auch in Zeiten der Weltwirtschaftskrise über die Runden zu kommen?
Haug:
"Sie muss mit all ihren Verantwortlichen hellwach, selbstkritisch und kreativ sein, die Wünsche ihrer Kunden, der Zuschauer also, an oberster Stelle ansiedeln und die Weiterentwicklung im Sinne des Zuschauers umsetzen - am besten im Formel-1-Tempo."

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