Sonntag, 8. November 2009

Von der Kunst des Schreibens: Drama (2)

Ich schreibe, weil ich für mich eine Regel aufgestellt habe, und die lautet: "Gib den Dramen den Raum, der ihnen gebührt - in deinen Texten".

Man könnte behaupten, ich sei unbarmherzig. Diese Unbarmherzigkeit habe ich mir hartnäckig erkämpft. Aus bitterer Erfahrung weiß ich, wenn ich mich erst auf die persönlichen Dramen anderer einlasse, dann bin ich zu müde, zu abgelenkt, zu außer mir, um noch zu schreiben - das kann ich mir nicht leisten.

Für die Kreativität eines Schriftstellers sind persönliche Dramen Gift. Die Bereitschaft, sich auf die Machtkämpfe anderer einzulassen, kommt einem gezielten Sabotageanschlag auf die eigene Kreativität gleich.
"Aber er!" ruft die eine meiner Freunde.
"Aber sie!" ruft der andere.
Inzwischen suche ich mir sorgsam einen Weg durch die Mitte.

"Ich kann mich gerade nicht in so etwas hineinziehen lassen. Ich bin mir sicher, dass ihr das Problem auch alleine löst. Bei mir ist es jetzt mit dem Schreiben soweit". Und es ist bei mir mit Schreiben "soweit". Dieser Ausdruck, der an Schwangerschaft und Reifung erinnert, ist ebenfalls eines meiner Lernstücke.

Jeder Tag besteht aus Myriaden von Augenblicken. In jedem dieser Augenblicke können wir eine Wahl treffen. Soll ich zwangzig Minuten lang schreiben oder soll ich mich für zwanzig Minuten am Telefon als Klagemauer zur Verfügung stellen? Soll ich zwanzig Minuten mit dem Hund spazieren gehen und die Zeit nutzen, um über den Handlungsfaden einer Geschichte nachzudenken, oder soll ich mir einreden, dass ich keine Zeit zum Spazierengehen habe und lieber meine Schwester anrufen, um mich bei ihr darüber auszuheulen, dass ich mein Leben nicht selbstbestimmt führen kann?

Mit anderen Worten, soll ich Dramen zum Inhalt meines Schreibens machen oder soll ich mich auf ein Drama einlassen, das mich letztendlich vom Schreiben abhalten wird?

Einer meiner Lieblingsfilme ist Howard Hawk´Napolen vom Broadway. Darin spielt John Barrymore einen exzentrischen Theaterdirektor. Immer wenn die Gefahr besteht, dass seine Pläne von jemandem durchkreuzt werden, zischt Barrymore: "Diese Ratte ... Dem knall ich die Eisentür vor der Nase zu".

Sobald er die Eisentür zugeschlagen hat, existiert die Person oder das Problem für Barrymore nämlich nicht mehr. Übrig geblieben ist lediglich die jeweilige dramaturgische Fragestellung, mit der er sich gerade beschäftigt. Man könnte auch sagen, dass John Barrymore als exzentrischer Theaterdirektor über einen erbarmungslosen, aufgeklärten Eigennutz verfügt. Dramen auf den Inhalt von Texten zu beschränken ist erbarmungsloser, aufgeklärter Eigennutz. Wer sich diese Art kreativer Selbstgenügsamkeit aneignet, für den ist ein eigenes Zimmer eine Annehmlichkeit, nicht aber die Voraussetzung für das Schreiben.

"Sie hat achtundvierzig Stunden, um sich bei mir zu entschuldigen. Wenn sie das nicht tut, dann ..."
"Ich bin sicher, alles wird gut. Ihr seid doch beide erwachsene Menschen".
"Sie? Keineswegs!"
"Er? Auf keinen Fall!"
"Hm. Bei mir ist jetzt leider das Schreiben fällig."

Mit diesen Worten kehre ich zurück zu meinem leeren Blatt Papier. Ich schlage die Eisentür zu. Ich weigere mich einfach, mich in irgendein Drama hineinziehen zu lassen, es sei denn, es dient mir und meinen Absichten. Ich halte mich an genau das, was ich predige: Wer sein Drama in mein Leben abladen will, der muss damit rechnen, dass er damit auf meinem Schreibblock landet.

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