Sonntag, 8. November 2009

Von der Kunst des Schreibens: Die richtige Stimmung (2)

Meine Mutter schrieb täglich. Ich sah zu, wie sie die zwei Minuten nutzte, die sie den Kaffee ziehen ließ, wie sie sich zehn weitere Minuten nach dem Abwasch des Frühstücksgeschirrs nahm und manchmal noch ein paar Augenblicke, während die Kinder Klavier übten oder ihre Hausaufgaben erledigten.

Meine Mutter war mir ein großes Vorbild, wenn es um die Schönheit und die Macht des Schreibens als greifbares Zeichen der Liebe ging. Sie hatte sieben Kinder, und wenn wir fort in unseren jeweiligen Internaten waren, schickte sie uns Briefe. Außerdem schrieb sie regelmäßig an ihre Schwiegermutter Mimi, die ihr lange, gewundene Episteln zurückschickte, und an ihre Schwestern, die ebenfalls oft antworteten.

Briefe erreichten und verließen den Schreibtisch meiner Mutter mit der gleichen Beiläufigkeit wie heute E-Mails. Meine Mutter machte kein Aufhebens aus dem Schreiben. Sie tat es einfach. Die ganze Zeit. Von meiner Mutter habe ich gelernt, dass man keine große Sache aus dem Schreiben machen muss. Man muss sich nur dransetzen.

Wenn wir fortwährend schreiben, ob wir nun in Stimmung sind oder nicht, ergreifen wir von unserer Schreibfähigkeit Besitz. Wir befreien das Schreiben aus dem Reich der Magie, in dem wir einsam auf dem Fels der Isolation stehen und die Winde um Inspiration anflehen, und machen es zu etwas Machbarem wie das Einschlagen eines Nagels mit einem Hammer.

Schreiben mag eine Kunst sein, ganz gewiss aber ist es ein Handwerk. Es ist eine einfache und zu bewältigende Tätigkeit, die so stetig und seriös sein kann, wie das Erledigen der Hausarbeit.
Ist Schreiben deshalb weniger romantisch?

Mein Freund Richard lebt in Venice Beach und nimmt immer ein Notizbuch mit an den Strand. Jeden Tag schwimmt er mit den Delphinen, kommt zurück, trocknet sich ab und macht sich ans Schreiben. Das Schwimmen hält ihn körperlich fit. Das Schreiben hält ihn geistig fit. Er verhandlet weder über das eine noch über das andere. Er wartet nicht auf "die richtige Stimmung", um sich ins eisige Wasser zu stürzen oder um sich auf dem Papier auszubreiten.

"Ich tue es einfach", sagt Richard, "und ich bin glücklich dabei. Gelegentlich kommt mir natürlich etwas dazwischen. Fällt das Schwimmen oder Schreiben dann flach, hat das Auswirkungen auf mein übriges Leben. Ich werde reizbar".

Aufgrund seines regelmäßigen Schreibens und Schwimmens ist Richard ein geübter Optimist. Von welcher Stimmung er aus ausgehen muss, sie wird zum Fundament für eine bessere. "Ich schauspielere mich hin zu richtigem Denken", erklärt Richard. Sich schauspielernd zu richtigem Denken vorzukämpfen heißt, auch dann den Stift aufs Papier zu setzen, wenn der innere Zensor aufjault und wenn sich das Schreiben "schlecht" anfühlt, weil wir müde sind oder keine Lust haben.

Wie auch immer wir uns fühlen, das Schreiben kann eine Veränderung bewirken, wenn wir ihm nur eine Chance geben. Der Kunstkniff besteht also schlicht darin, diese Gelegenheit auch einzuräumen.

Es ist eine falsche romantische Vorstellung, dass Kreativität etwas Flüchtiges ist und uns wie ein wankelmütiger Liebhaber jederzeit verlassen kann. Kreativität ist eine Laterne und kein flackerndes Kerzenlicht. Etwas will ebenso dringend durch uns zum Ausdruck kommen, wie wir schreiben wollen. Um das herauszufinden, sind Zeit und Geduld vonnöten.

"Lass dich einfach nur regelmäßig am Schreibtisch blicken. Setz deinen Stift aufs Papier und fang dort an, wo du gerade bist. Fang an zu schreiben, und etwas wird sich durch dich ausdrücken wollen. Es ist als knipse man das Licht an. Der Strom ist da und beginnt zu fließen".

"Du musst allen, was du schreibest, mit Liebe begegnen. Akzeptiere dein Schreiben als dauerhaft, als eine geliebte Person, die gute und schlechte, griesgrämige und euphorische Tage hat. Lass dein Schreiben es selbst sein. Schenk ihm Liebe, und es wird dich überraschen."

Ich gestand Regine, dass ich meinen inneren Schriftsteller ausführe, ihm teuere Kaffeekreationen mit Milchschaum wie Wolken spendiere. Ich nehme ihn mit auf Zugfahrten, damit er sich an der Aussicht erfreuen kann. Ich kaufe ihm Zeitschriften, Stifte, die von alleine schreibe, einen bestickten Sessel, den ich ans Fenster rücke, damit er gutes Licht hat. Ich gebe mir Mühe, meinen inneren Schriftsteller nicht zu drangsalieren oder anzugreifen. Ich zwinge ihn nicht, ständig das zu schreiben, was er schreiben "sollte", sondern lasse ihm genug Raum, um das zu Papier zu bringen, was er "möchte".

Mein innerer Schriftsteller hat gelernt, mir zu vertrauen, meine Gesellschaft zu schätzen und mich umgekehrt ebenfalls gut zu behandeln.

Ich sagte Regine, dass Stimmungen einen Schafften auf das Schreiben werfen wie vorüberziehende Wolken auf eine Landschaft. Sie verdüstern unsere Wahrnehmung einer bezaubernden Gegend und machen uns weis, verzweifelt sein zu müssen.

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