Sonntag, 20. September 2009

Von der Kunst des Schreibens: Sich abschotten (3)

Ich begutachte Bücher und Manuskripte schon seit gut meinem zwanzigsten Lebensjahr. Nichts ist schwieriger, als eine angemessene Buchbesprechung zu verfassen und dabei detailliert auf die Stärken des Buches einzugehen. Nichts ist einfacher, als ein Buch zu zerreißen und auf jede einzelne Schwäche mit dem Finger zu zeigen. Aus diesem Grund braucht der "Freund", der Ihr Manuskript liest, vielleicht ein wenig Unterweisung darin, was einen wohlgesonnenen Leser auszeichnet.

Es ist absolut statthaft, die Aushändigung eines Manuskripts an eine Bedingung zu knüpfen: "Ich möchte, dass du mir sagst, was dir gefällt und wovon du gern mehr sehen würdest. Bitte geh dabei auf konkrete Details ein." Wenigstens hat man so versucht, den Leser ins richtige Fahrwasser zu lenken.

Wir selbst müssen aus Liebe schreiben und wir müssen solche Menschen als Leser unserer Texte auswählen, die gleichfalls aus Liebe lesen - aus Liebe zum geschriebenen Wort. Die Freude daran, unsere Erfahrungen bei ihrem Namen zu nennen, muss letztendlich die Kraft sein, die uns darin steuert, was wir aufs Papier bringen. Wenn wir schreiben und dabei vor Angst vor Kritik erfüllt sind, dann erschweren wir unsere Vorankommen und beschneiden unsere Stimme. Indem wir Möchtegernkritiker statt Leseratten zu den Lesern unserer Texte machen, beschwören wir die Katastrophe schier herauf.

Man kann die Sorgfalt, die Sie an den Tag legen müssen, um Ihre Texte zu schützen, gar nicht genug betonen. Zwar haben wir in der Öffentlichkeit kaum irgendwelche Aussichten, die Aufnahme unserer schriftstellerischen Produkte zu kontrollieren, doch ist dies im privaten Bereich bis zu einer gewissen Grenze durchaus möglich. Fügen Sie sich durch die Auswahl Ihrer ersten Leser also keinen Schaden zu.

Auch wenn wir es selten so sehen, ist eine Schreibhemmung, im Grunde genommen eine gesunde Reaktion unseres inneren Schriftstellers auf eine gefährliche Bedrohnung.

Es ist überaus wichtig, dass wir uns ein paar wohlgesonnene Leser für unsere Arbeit erhalten, ganz unabhängig davon, was und wie viel wir veröffentlichen. Wir brauchen Menschen um uns, die ein Gedicht oder ein Essay um seiner selbst willen hören und dabei nicht an irgendwelche Schachzüge in Sachen Karriere denken. Unserem inneren Schriftsteller muss es gestattet sein, ungehindert und ohne ständig auf den Markt zu schielen, zu schreiben. Den Markt im Auge zu haben, ist Bestandteil des Schriftstellerlebens, doch wenn die Verkaufbarkeit eine zu große Rolle spielt, dann blockiert sie den Erfindungsreichtum und viele interessante Wege, weil sie - jedenfalls auf den ersten prüfenden Blick - nicht kommerziell nutzbar erscheinen.

Genau die Verletzlichkeit, die erforderlich ist, um offen und kreativ zu sein, setzt unsere Kreativität aufs Spiel. Aus diesem Grund muss sorgfältig darauf geachtet werden, "sichere" Leser und solche Menschen zu finden, die vor, während und nach dem Entstehen unseren Texten freundlich gegenüberstehen.

Mit etwas Glück und Hartnäckigkeit werden wir eines Tages mit einer Veröffentlichung erfolgreich sein - vielleicht sogar sehr. Sobald der Fall eintritt, sind sichere Freunde sogar noch wichtiger. Der innere Zensor wacht nämlich beim leichsesten Anflug von Erfolg und ruft: "Zufall! Nichts als Zufall! Ein zweites Mal gelingt dir das nie und nimmer!" Genau jetzt werden Freunde gebraucht, die dann besänftigend sagen:" Hör mal. Du warst vor diesem Erfolg ein guter Schriftsteller, und du bis noch immer ein guter Schriftsteller. Schreib einfach weiter."

Liebenswürdigkeit, Ermutigung, Sicherheit - das sind die Losungen, die Kritik ersetzen sollten. Seit dreißig Jahren schreibe ich. Mir ist mehr von schlechter Kritik vernichtendes gutes Schreiben untergekommen als von guter Kritik gefördertes schlechtes Schreiben. Ich habe erlebt, wie wertvolle Bücher von zu vielen Lektoren bis zur völligen Zerstörung auseinander genommen wurde. Ich habe erlebt, wie sich Theaterstücke gut entwickelten, nur um schließlich von den Korrekturvorstellungen anderer zugrunde gerichtet zu werden.

"Die erste Regel der Magie ist Abgrenzung", das ist ein metaphysisches Gesetz. Nirgendwo hat dieses Gesetz mehr Berechtigung als bei unserem Schreiben.

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