Sonntag, 20. September 2009

Von der Kunst des Schreibens: Sich abschotten (2)

Dass unsere Leser in Begeisterung geraten, mag daran liegen, dass sie zum Beispiel generell uns oder das Lesen allgemein gut finden, und auch das ist gefährlich. Wenn wir zu eifrig sind und ihnen ein wertvolles Stück Arbeit in die Hände geben, dann gefährden wir den Fortgang unserer Arbeit. Unser Energiekonto wird überzogen. Die Energie, die wir zum Schreiben nutzen sollten, muss stattdessen aufgewandt werden, um unseren Text zu verteidigen und zu entscheiden, ob unser Kritiker "Recht hat" oder nicht.

Schreiben ist ein Akt der Verbindungsaufnahme, doch wird zuerst die Verbindung zum Selbst und dann die zur Welt hergestellt.

Um uns im Selbstausdruck zu üben, müssen wir sorgsam darauf achten, die richtige Reihenfolge einzuhalten. Wir müssen das Selbst, das wir zum Ausdruck bringen wollen, beschützen. Wir müssen unseren inneren Schriftsteller vorsichtig behandeln, denn er ist wertvoll.

Schreiben ist Kommunikation, das stimmt, doch diese Kommunikation beginnt im Inneren. Das Selbst kommuniziert mit dem Schriftsteller und umgekehrt. Das Wesentliche dabei ist, was der Schriftsteller der Welt mitteilt. Wenn die Welt zu bald unterbrechend darf, dann zieht sich das Selbst zurück. Der Verstand bleibt zugänglich und schreibt immer raffinierter und defensiver, doch es entschwindet die Seele aus dem Geschriebenen. Der Geist des Geschriebenen kommt auf unsicheren Beinen daher. Was gesagt wird, hört sich zwar gut an, aber es klingt nicht wahrhaftig. Das Geschriebenes wahr klingt, muss es im Inneren nachhallen. Damit das Geschriebene im Inneren nachhallen kann, darf es nicht zu vielen äußeren Einflüssen ausgesetzt sein. Und wenn schon äußere Einflüsse vorhanden sind, dann sollten sie wohlwollend sein.

Was verstehe ich unter einem wohlwollenden Einfluss? Ich meine einen Einfluss, der Wachstum fördert, statt es an den Wurzeln auszureißen. So war Kritik ursprünglich auch gedacht - doch das ist in Vergessenheit geraten. Als Kritik noch eine Kunst war und keine feindliche Position, da versuchte sie noch, mit ihren Kommentaren zu formen und zu ermutigen. Geschult an der literarischen Tradition und vertraut mit den größten Literaten, vermochte sie oft viel versprechende neue Arbeit zu erkennen wie ein Gärtner, der einen wertvollen Sämling in seinem Garten entdeckt. Moderne Kritiker sind in dieser Kunst nicht mehr ausgebildet. In unseren Schulen und in den Medien werden wir dazu angehalten, Kritik zu üben, aber keiner sagt uns, wie man das richtig angeht.

Als Lehrerin für kreatives Schreiben habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Schwächen eines Schülers langsam verschwinden, wenn ich seine Stärken lobe. Konzentriere ich mich aber auf seine Schwächen, dann geraten mit ihnen vielleicht auch seine Stärken ins Wanken und verschwinden. Ein junger Schriftsteller ist ein junges Pferd. Die Gangarten müssen entwickelt werden, bevor man sie perfektionieren kann. Ein junges Pferd würden wir auch nicht jedem x-beliebigen Zureitener anvertrauen, genau wenig sollten wir deshalb unser Geschriebenes irgendeinem Kritiker überlassen. Doch damit meine ich nicht, dass wir uns nur Profis anvertrauen dürfen. Viele professionelle Kritiker haben gar kein persönliches Interesse.

Ein Amateurleser kann wertvolles Feedback geben. (Schließlich leitet sich das Wort "Amateur" vom lateinischen amare ab: lieben.) Der ideale Leser für Sie ist also jemand, der gerne liest und zudem eine positive Einstellung der Tatsache gegenüber hat, dass Sie Ihre schriftstellerischen Fähigkeiten entwickeln wollen.

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