Sonntag, 20. September 2009

Von der Kunst des Schreibens: Sich abschotten (1)

Ich greife mal ein Kapitel vorweg, welches ich für wichtig halte:

Julia berichtet davon, dass sie einen talentierten jungen schottischen Schriftsteller kennen gelernt hat. Er war gerade im Begriff, seine ersten Erfahrungen zu sammeln. Er strotzte nur so vor Worten, Energie und Einfallsreichtum. Sie bat ihn, etwas zu schreiben und ihr dann zuzuschicken, was er auch tat. Allerdings folgte danach nichts mehr.

Ich habe ein paar von meinen Freunden meine Geschichten gezeigt. Sie gefielen ihnen nicht besonders. Sie meinten, sie seien nicht verständlich, antwortete der junge Schriftsteller unglücklich. Seitdem sind mir keine neuen Geschichten mehr eingefallen.

Julia: Wie konnten diese so genannten "Freunde" es wagen, eine kreative Leistung zu kritisieren, die so stark und lebendig und viel versprechend war? Wer glaubten sie eigentlich, dass sie waren - Literaturkritiker etwa?

Die beste und seltenste Form von Kritik ist konstruktiv, und nur die wenigsten Menschen wissen, wie man sie anbringen kann. Da dies nun einmal so ist, scheint es das Vernünftigste zu sein, sich bei ersten Schreibversuchen und bei allen Entwürfen in Abschottung zu üben.

Du musst dich abschotten, riet ich deshalb dem jungen Schriftsteller. Hör auf, deine Geschichten überall herumzureichen, und gib sie schon gar nicht deinen Freunden. Dieser junge Schriftsteller musste nur noch richtig in Gang kommen - mehr brauchen wir Übrigen eigentlich auch nicht - , und außerdem benötigte er ein wenig Ermutigung und ein Geführ von Sicherheit. Das bedeutet nicht, dass ästhetische Gesichtspunkte unbedeutend sind. Es heißt vielmehr, dass wir Zeit und Raum brauchen, um unser eigenes ästhetisches Gefühl zu finden, und das kann nicht geschehen, wenn wir mit Stammtischkritik und künstlerischen Mehrheitsbeschlüssen unmittelbar konfrontiert werden.

Die Frage "Wie findet du meinen Text?" darf immer erst nach der Frage "Wie finde ich meinen Text?" kommen.

Jeder Mensch besitzt einen kreativen Kern, den es genau auf die gleiche Weise zu schützen gilt. Ich betrachte meine Kreativität als meinen wertvollsten Besitz. Sie ist mein Reichtum. Mir ist das bewusst, und deshalb beschütze ich sie auf die gleiche Weise, wie auch ein kluger Mann vernünftig und konservativ investiert, um sich seinen Reichtum zu bewahren.

Da der Schriftstellermythos uns jedoch glauben macht, dass alle Künstler von Natur aus wild und sorglos sind - warum sollten wir und dann hier plötzlich um finanzielle Belange kümmern? Warum Konservativismus fordern? Weil wir alle im Inneren reich sind und weil wir diesen Reichtum ebenso verprassen können, wie ein Dummkopf ein Vermögen verpulvert.

Wie verprassen wir unseren Reichtum? Zunächst einmal, indem wir unsere Arbeit zu früh und wahllos herzeigen. Wir bewerten unser wertvolles Schreiben nicht ausreichend. Wir klassifizieren unseren Leser nicht auf die gleiche Weise, wie eine Bank es bei einem Invenstor tun würde. Wir halten nicht inne, um die Qualifikation des ambitionierten Lesers infrage zu stellen. In unserem Bestreben, Leser zu finden, reißen wir einfach die Stadttore auf. Das ist so, als würden wir einer Zufallsbekanntschaft Zugang zu unserem Konto einräumen.

Wer sein Geschriebenes ihm feindlich gesonnenen oder anspruchslosen Lesern gibt, begeht den gleichen Fehler wie jemand, der einer Person mit bekanntlich schlechten Finanzmitteln sein Geld leiht. Für uns springt nicht das dabei heraus, war wir uns vorgestellt haben. Unsere Arbeit findet keine Wertschätzung.

Diese Leute werden mit gefährlichen Extremreaktionen aufwarten: "Einzigartig!" oder "Grauenhaft!" (Landjährige Erfahrung lehrt, das Extreme jeglicher Art, ob positiv oder negativ, den Schreibprozess gefährden, weil die Gehemmtheit erzeugen.)

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