Mittwoch, 17. Februar 2010

Erste Technik: Morgenseiten (1)

Die erste Technik, wenn Sie sich schlank schreiben wollen, ist ein Verfahren, das ich schon viele Male unterrichtet habe. Es handelt sich dabei um die Grundtechnik schlechthin, um kreative Blockaden aufzulösen wie auch um eine langfristige Gewichtsabnahme zu erreichen.

Sie schreiben jeden Morgen drei Seiten, eine Übung, die ich als "Morgenseiten" bezeichne.

Diese Seiten müssen streng in Form eines Gedankenstroms verfasst sein - also keine "hohe Kunst". Sie lassen einfach Ihre Hand über das Papier gleiten und schreiben nieder, was Ihnen gerade durch den Kopf geht. Auch "Nicht-Gedanken" sind in Ordnung. Erwarten oder fordern Sie keinen Schreibstil von sich. Jeder Stil ist recht.

Lammentieren Sie, meckern Sie, schimpfen Sie, bringen Sie Ihre Sorgen zu Papier - oder feiern Sie. Bei den Morgenseiten können Sie gar keine Fehler machen.

Ihre Seiten hören sich vielleicht griesgrämig oder weinerlich an im Stil von "Ich bin schon wach und möglichte lieber noch zwei Stunden schlafen. Ich hasse meinen Job. Ich hasse meinen Chef. Ich hasse mein Leben, wie ich es momentan eingerichtet habe."

Ihre Seiten klingen vielleicht sorgenvoll und konfus. Vielleicht stellen Sie ja fest, dass Sie verärgert oder traurig sind. Das ist schon in Ordnung. Es ist wirklich in Ordnung.

Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, zu Papier zu bringen, wie es gerade um sie steht.

Was Sie mir Ihren Seiten erreichen wollen, lässt sich in der Zwölf-Schritte-Terminologie als in "Fluss geraten" bezeichnen. Sie sind sich auf der Spur, um exakt festzustellen, was Sie empfinden und denken. Allein schon die Redewendung "in Fluss geraten" ist interessant. Weil wir nämlich genau das tun. Wir zapfen den Energiefluss in unserem Leben an, den Strom dessen, was und wer wir sind.

Wenn ich in Fluss gerate, fühle ich mich lebendiger. Ich weiß, wer ich bin, wovon ich mir mehr wünsche und wovon ich weniger brauche. Wenn ich meine Morgenseiten schreibe, zapfe ich eine kreative Energie an, die wie ein unterirdischer Fluss durch mein Leben strömt.

Eine der ersten Früchte, die die Morgenseiten abwerfen, ist ein Anstieg der Kreativität in vielerlei Hinsicht. Wohnungen werden gestrichen. Vorhänge werden aufgehängt. Längst überfällige Briefe werden geschrieben. Kunstformen, die uns abhanden gekommen sind oder die wir vergessen haben, kommen mit erhöhter Dringlichkeit wieder auf uns zu.

Die Morgenseiten werfen einen scharfen Blick auf unsere Tage. Sie helfen auch Prioritäten zu setzen. Schreiben wir unsere Morgenseiten, sehen wir, dass sich jeder Tag aus einer Fülle von Wahlmöglichkeiten zusammensetzt und dass wir über die große Freiheit verfügen, uns auszusuchen, wie wir leben wollen.

Die Morgenseiten machen uns bewusst, welche unserer Aktivitäten uns in eine Sackgasse führen und welche uns ein Gefühl von Gesundheit und Wohlbefinden vermitteln. Wie ein wohlmeinender Freund geben Sie uns einen Schubs in Richtung auf eine notwendige Veränderung hin.

Die Morgenseiten bringen uns in Kontakt mit unseren Gefühlen. Diese Gefühle werden oft zugestopft, unter dem Gewicht unserer geschäftigen Tage begraben, Tage, die von Arbeit erfüllt sind, von Beziehung und - ja - von Essen.

Zu oft haben wir an unsere Gefühle gerührt und sind dann zurückgezuckt, als hätten wir einen heißen Ofen berührt. Wir waren oft ärgerlich und hatten das Gefühl, dass unser Ärger tabu ist. Wir waren traurig und haben uns irgendeiner anspruchslosen Fernsehsendung zugewandt, um das Gefühl zu ignorieren. Und wir haben uns sogar dem Essen zugewandt, wenn wir uns gefreut haben. Jedes Intensive Gefühl kann einen Fressanfall auslösen.

Schreiben wir unsere Morgenseiten, lassen wir unser anspruchsloses Leben hinter uns. Einen Tag nach dem anderen, Seite um Seite werden wir anspruchsvoller, stellen wir uns auf unsere Gefühle ein.

Die Morgenseiten untersuchen alle unsere Beziehungen, nicht zuletzt unsere Beziehung zum Essen.

Die Morgenseiten fegen das Haus unseres Bewusstseins. Sie stochern in sämtlichen Winkeln unserer Gedanken herum. Sie sind ein Auffangbecken für viele kleine Einfälle, die dann größere Durchbrüche nach sich ziehen.
Man braucht Mut, um Morgenseiten zu schreiben, doch den bekommen wir durch die Seiten. In der Intimität unseres Tagebuchs geben wir unsere Geheimnisse preis. Und sobald sie enthüllt sind, verlieren sie die Macht, uns zu tyrannisieren.

Unser Stift ist das Skalpell, mit dem wir die psychischen Infektionen, die wir mir uns herumgeschleppt haben, aufschneiden.

Sobald wir ein Problem ins Visier nehmen, präsentieren uns unsere Seiten rasch auch Lösungen. Sie erinnern uns, dass wir nicht in der Falle sitzen. Wir haben stets die Wahl. Manchmal ist diese Wahl schwierig zu treffen.

Wir hassen unsere Arbeit vielleicht, aber das Gehalt sagt uns durchaus zu. Die Morgenseiten ermuntern uns, eine akkurate Bestandsaufnahme unserer Situation vorzunehmen. Wir können uns dafür entscheiden, die Kündigung einzureichen, oder wir können bleiben. Die Seiten helfen uns, unsere Alternativen auszuloten.

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