Dienstag, 7. April 2009

FIA lädt McLaren vor / Interview mit Norbert Haug

Lügen-Affäre: FIA lädt McLaren vor

Der Formel-1-Rennstall McLaren-Mercedes muss sich wegen der 'Lügen-Affäre' von Melbourne vor dem Automobil-Weltverband FIA verantworten. Der Verband bestellte das Team am Dienstag zu einer außerordentlichen Sitzung des World Motor Sport Council der FIA am 29. April nach Paris.

Die FIA wirft den "Silberpfeilen" einen Verstoß gegen Artikel 151c des Internationalen Sporting Codes vor, der das Handeln gegen den Geist des Sports unter Strafe stellt. Der ehemalige McLaren-Sportdirektor Dave Ryan, der am Sonntag suspendiert und dann am Dienstag unmittelbar nach der FIA-Anklage entlassen wurde, hatte Weltmeister Lewis Hamilton zu einer Falschaussage gegenüber den Renn-Kommissaren angestiftet.

Auch die Rekordstrafe von 100 Millionen US-Dollar (damals 72 Millionen Euro) in der Spionage-Affäre 2007 hatte die FIA mit einem Verstoß gegen Artikel 151c begründet. Das mögliche Strafmaß reicht von Geldstrafen bis zu einem Ausschluss aus der WM.

FIA erhebt zahlreiche Vorwürfe

Im Einzelnen wirft die FIA dem Team fünf Verstöße vor.
Erstens habe man bei der Anhörung am 29. März nach dem Großen Preis von Australien in Melbourne erklärt, Hamilton nicht angewiesen zu haben, für Toyota-Pilot Jarno Trulli (Italien) Platz zu machen, obwohl das der Fall gewesen war.

Zweitens sei Hamilton dazu aufgefordert worden, diese Falschaussage gegenüber den Kommissaren zu bestätigen.
Drittens habe McLaren-Mercedes nichts dagegen unternommen, dass ein anderer Fahrer und ein anderes Team als Konsequenz der Falschaussage zu Unrecht bestraft wurden.

Viertens sei das Team bei einer erneuten Anhörung am 2. April in Kuala Lumpur bei seiner Falschaussage von Melbourne geblieben, obwohl dem Rennstall bereits erlaubt worden war, einen Mitschnitt des belastenden Funkverkehrs zwischen Hamilton und der Box anzuhören.

Fünftens sei Hamilton am 2. April angewiesen worden, darauf zu beharren, dass seine falsche Aussage die Wahrheit gewesen sei, obwohl man wusste, dass das nicht so war.

Unmittelbar nach der FIA-Ankündigung teilte McLaren-Mercedes die endgültige Trennung von Ryan mit. "Er ist nicht länger ein Angestellter irgendeines Unternehmens der McLaren-Gruppe", hieß es in einer Presseerklärung.

Haug: "Das ist aus dem Affekt heraus passiert"

"McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh hat im Zuge der Lügen-Affäre seinen Rücktritt angeboten. Wie wird man sich entscheiden?"
Norbert Haug:
"Ich stehe in permanentem Kontakt mit Stuttgart und berichte direkt an Vorstandschef Dr. Dieter Zetsche. Natürlich werden wir uns an einen Tisch setzen und reden, aber ich habe volles Vertrauen in Martin. Er ist ein guter Kerl, und er führt dieses Team ganz großartig."

"Lewis Hamilton galt bisher als Sympathieträger für die Marke Mercedes-Benz. Jetzt steht er als Lügner da. Wie groß ist der Imageschaden?"
Haug:
"Ich glaube, es ist alles gesagt. Es gibt das alles mittlerweile als Aufzeichnung, als Originalton. Ich denke, es gibt eine zusätzliche Erklärung. Bei vielen solchen Verhandlungen, die das Team und Lewis mitmachen haben müssen, fühlt man sich vielleicht vollkommen ohne Grund in die Ecke gedrückt. Ich kann es mir nur so vorstellen, dass da irgendeine Art Blackout-Situation entsteht."

"Wie konnte Hamilton die Frage nach dem Funkverkehr verneinen, obwohl er doch wissen musste, dass es Aufzeichnungen darüber gibt?"
Haug:
"Ich kenne die Inhalte nach wie vor nicht, ich kenne die Protokolle nicht, was letztendlich gesagt worden ist. Das wissen nur Lewis und der inzwischen suspendierte McLaren-Sportdirektor Dave Ryan. Ich habe davon erfahren, als ich am Mittwochnachmittag nach Malaysia angereist bin. Wir waren in Melbourne und hatten keinen Grund zur Annahme, dass sich da irgendetwas zusammenbrauen könnte, um das noch einmal klipp und klar zu sagen."

"Wer hat die Entscheidung getroffen, die Sportkommissare bewusst anzulügen?"
Haug:
"Ich habe Lewis und Dave nicht so kennen gelernt, dass sie irgendwo hingehen und sagen: 'Jetzt erzählen wir mal mit Vorsatz etwas Falsches.' Ich kann mir nur vorstellen, dass das aus der Situation und aus dem Affekt heraus passiert ist."


"Hamilton hat inzwischen eine Lügen-Beichte abgelegt. Wie schwer ist ihm das gefallen?"
Haug:
"Dass Lewis selbst Stellung bezogen hat, ist aller Ehren wert. Ich habe im Motorsport viel erlebt, und ich weiß auch, dass es große Motorsportler gegeben hat, die nicht so dazu gestanden haben. Das muss man zur Erklärung der Situation um Lewis Hamilton sagen."

"Hamilton wird als Lügen-Weltmeister, Pinocchio und Münchhausen verspottet. Kann er sich derzeit überhaupt noch auf seinen Job als Rennfahrer konzentrieren?"
Haug:
"Ich hoffe, er kann es - ich hoffe, er fühlt sich im Auto konzentriert und wohl. Wir sind wegen des Sports hier, es ist sicher nicht so, dass wir uns unrechtmäßig einen Punkt verschaffen wollen - das ist nicht unser Ziel. Ich denke, Lewis wollte vielmehr seinen vierten Platz nicht verlieren bei der ganzen Geschichte, aber ich hoffe, man kann dahinter mal einen Haken machen und sich auf den Sport konzentrieren."

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